Projektcoaching (20): Legehennen

Alle reden von Cloud-Com­pu­ting. Die Tech­nik über­brückt den Raum. Irgend­wann spielt der phy­si­sche Auf­ent­halt­ort nur noch inso­fern eine Rol­le als dort die nöti­ge Band­brei­te zur Ver­fü­gung ste­hen muss. (Dass dies lei­der immer noch nicht über­all der Fall ist bemän­gel­te unlängst Gun­ter Dueck auf der repu­bli­ca 2011.) Den­noch fah­ren wir jeden Tag auf­wän­digst an unse­ren Arbeits­platz und glau­ben die effek­tivs­te Metho­de zusam­men zu arbei­ten, bei­spiels­wei­se in einem Pro­jekt, wäre es alle in einen Raum zu sper­ren. Kur­ze Wege, heißt es dann. Aber wozu? Und ist phy­si­sche Nähe wirk­lich die ein­zi­ge Antwort?

In jedem Pro­jekt stellt sich ziem­lich bald die Fra­ge (oder jeden­falls soll­te sie sich stel­len) was die bes­te räum­li­che Ver­tei­lung der betei­lig­ten Men­schen sei. Das ruft dann schnell die Ver­fech­ter des Lege­hen­nen­prin­zips auf den Plan: per­ma­nent mög­lichst dicht gedrängt arbei­ten. Und dann gibt es noch die Frak­ti­on der Künst­ler, die nach Abge­schie­den­heit und Ruhe ver­lan­gen. Wir alle brau­chen einer­seits sozia­le Inter­ak­ti­on und Kom­mu­ni­ka­ti­on und ande­rer­seits Zei­ten in denen wir in Ruhe arbei­ten kön­nen. Sowohl Ruhe als auch sozia­le Inter­ak­ti­on und Kom­mu­ni­ka­ti­on haben ihre Berech­ti­gung — und bei­des kann man über­trei­ben. Die Dosis macht das Gift. Die rich­ti­ge Ant­wort auf die Fra­ge nach der bes­ten räum­li­chen Auf­tei­lung eines Team lau­tet also: fle­xi­bel und gestalt­bar halten.

Mög­lichst gro­ße räum­li­che Nähe per se ist nicht das Ziel, son­dern nur eine mög­li­che Lösung. Span­nend ist die Fra­ge nach dem Wozu: Wel­chen Nut­zen ver­spricht man sich von räum­li­cher Nähe? Mög­lichst viel Kom­mu­ni­ka­ti­on ist dann das Argu­ment. Aber auch Kom­mu­ni­ka­ti­on ist nicht der eigent­li­che Zweck. Wozu sol­len die Men­schen mit­ein­an­der kom­mu­ni­zie­ren? Sicher­lich: Wenn im Team arbeits­tei­lig an einem gemein­sa­men Pro­dukt gear­bei­tet wird, ist Abstim­mung not­wen­dig. Aber nicht per­ma­nent: Zeig mir ein Team, das sich per­ma­nent abstim­men muss und und ich zei­ge Dir unschar­fe Rol­len, unkla­re Zustän­dig­kei­ten und unpas­sen­de Pro­zes­se. Kom­mu­ni­ka­ti­on soll­te in einem ver­nünf­ti­gen Ver­hält­nis zur eigent­li­chen Arbeit ste­hen. Sonst sind die Rol­len und Auf­ga­ben ver­mut­lich nicht rich­tig geschnit­ten. In die­sem Fall ist es bes­ser, die­se Ursa­chen zu bekämp­fen und sie nicht durch kur­ze Wege zu kaschie­ren. In die­ser Hin­sicht wer­den vie­le (Projekt-)Manager ihrer eigent­li­chen Auf­ga­be nicht gerecht: pas­sen­de Struk­tu­ren und Pro­zes­se schaf­fen und die­se bei Bedarf ver­bes­sern und anpassen.

Der eigent­li­che Zweck ist mög­lichst hohe Pro­duk­ti­vi­tät und Qua­li­tät. Die Devi­se soll­te lau­ten: so viel Kom­mu­ni­ka­ti­on wie nötig und soviel stö­rungs­freie Arbeit wie mög­lich. Beim Lege­hen­nen­prin­zip ist es eher umge­kehrt: viel Kom­mu­ni­ka­ti­on und wenig stö­rungs­frei­es Arbei­ten. Auch das kann man regu­lie­ren durch ent­spre­chen­de Spiel­re­geln, bei­spiels­wei­se stil­le Stun­den, nur fin­det das in der Pra­xis kaum statt. Umge­kehrt droht bei zuviel Abge­schie­den­heit ein gefähr­li­cher Man­gel an Abstim­mung, wes­halb dann für ent­spre­chen­den Aus­tausch gesorgt wer­den muss, bei­spiels­wei­se durch gemein­sa­me Kaf­fee­pau­sen und Mit­tag­essen oder auch durch den Ein­satz von Micro­blog­ging und Blog­ging im Projekt.

Bei der Fra­ge nach der „rich­ti­gen“ räum­li­chen Ver­tei­lung des Teams ist also grund­sätz­lich von kon­trä­ren Bedürf­nis­sen nach Kom­mu­ni­ka­ti­on und unge­stör­tem Arbei­ten aus­zu­ge­hen. Die­se müs­sen pas­send zur Auf­ga­be gegen­ein­an­der abge­wo­gen wer­den. Auch wird die räum­li­che Ver­tei­lung nicht die allei­ni­ge Ant­wort auf die­se Über­le­gun­gen sein kön­nen: eben­so müs­sen die Pro­zes­se und Spiel­re­geln dazu pas­sen, sonst droht unpro­duk­ti­ves Gega­cker einer­seits und autis­ti­sches Ein­sied­ler­tum andererseits.

Vorangegangene Teile der Serie Projektcoaching

Bildnachweis

Das Arti­kel­bild wur­de von Will Mery­dith unter dem Titel „Hens Roos­ting“ auf Flickr ver­öf­fent­licht (Bestimm­te Rech­te vor­be­hal­ten).



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6 Kommentare

Janko Böhm 13. Juni 2011 Antworten

Hal­lo Marcus
guter Arti­kel! Die Tren­nung und die gute Vor­be­rei­tung zu weni­ger Kom­mu­ni­ka­ti­on anhand von kla­ren Rol­len und Ver­ant­wort­lich­kei­ten sehe ich auch so .. Aber – nach mei­ner Auf­fas­sung beschreibt das die „Tren­nung“ und Kom­mu­ni­ka­ti­on zwi­schen Teams -> die soll­te klar und genau getrennt und auch im Kom­mu­ni­ka­ti­ons­plan auf­tau­chen. Die Kom­mu­ni­ka­ti­on IM Team (und hier gera­de im Agi­len Team mit täg­li­cher Kom­mu­ni­ka­ti­on) wür­de ich nicht auf­tren­nen. Aber das war ja evtl. auch nicht gemeint.

Marcus Raitner 13. Juni 2011 Antworten

Hi Jan­ko!

Dan­ke für Dei­nen Kom­men­tar. Ich hat­te durch­aus die Kom­mu­ni­ka­ti­on im Team im Sinn. Sicher­lich braucht es dafür kei­nen Kom­mun­ka­ti­ons­plan, aber ein paar Regeln soll­ten es schon sein (z.B. stil­le Stunden). 

Herz­li­che Grüße,
Marcus

Bianca Gade 22. Juni 2011 Antworten

Die Metho­de „stil­le Stun­de“ sehe ich kri­tisch. Das mag unter (weni­gen) Kol­le­gen funk­tio­nie­ren, doch wenn jemand anruft, ist die Stil­le schon dahin. Aber Regeln sind wich­tig, das den­ke ich auch. Und ver­mut­lich muss jedes Unter­neh­men (Abtei­lung?) selbst her­aus­fin­den, wie es Stil­le­pha­sen ein­rich­ten kann. Ich könn­te mir noch vorstellen:
1. Kon­zen­tra­ti­ons­auf­ga­ben in einem Kon­fe­renz­zim­mer erledigen
2. Home Office ermöglichen
3. Fle­xi­ble Arbeits­zei­ten ermög­li­chen (sodass sehr früh oder spät oder auch am WE etwas getan wer­den kann – mit Aus­gleich, ver­steht sich)

Dar­über hin­aus soll­te das Unter­neh­men auch für die nöti­gen End­ge­rä­te sor­gen und mög­lichst ein Social Intra­net haben. Ein­fach, um trotz­dem mit allen Kol­le­gen in Kon­takt zu sein und Know-How, unab­hän­gig von Ort und Zeit, abgrei­fen zu können.

Marcus Raitner 24. Juni 2011 Antworten

Hal­lo Bianca,
vie­len Dank für Dei­nen Kom­men­tar. Wie es die Abtei­lung, das Team, die Grup­pe kon­kret macht und wel­che Regeln sinn­voll und mach­bar sind, müs­sen die Leu­te sel­ber defi­nie­ren. Wich­tig ist mir, dass es pas­siert und dass dabei die unter­schied­li­chen und teil­wei­se wider­stre­ben­den Bedürf­nis­se Berück­sich­ti­gung finden.
Herz­li­chen Gruß,
Marcus

Patrick Koglin 3. Juli 2015 Antworten

Hal­lo Marcus,

auch wenn er aus 2011 ist, so ist der Arti­kel doch aktu­ell und es gut das du bei Twit­ter dar­auf hin­ge­wie­sen hast.

Aus mei­ner Sicht ist die­ses The­ma (wie alle ande­ren in der Art) sehr sim­pel wenn man den Men­schen bei­des gibt. Zu ger­ne betrach­te ich die Pro­jek­te wäh­rend des Stu­di­ums. Es gab dort Kern­zei­ten an denen man gemein­sam vor Ort gear­bei­tet und pro­gram­miert hat. Man hat­te Zugriff auf die Hard­ware wie Robo­ter, Soft­ware-Lizen­zen und Ansprech­part­ner. Die Kon­zep­te und tat­säch­li­che Arbeit erfolg­te schließ­lich in Abge­schie­den­heit. Gemein­sam in der Biblio­thek, jeder für sich daheim… wie auch immer. Es war ein­fach im Fluss und gab ledig­lich die Regel was bis wann fer­tig sein muss und wel­che Teil­schrit­te zu lie­fern sind. Eben agi­les Vorgehen.

Vie­le Grüße
Patrick

Marcus Raitner 3. Juli 2015 Antworten

Hal­lo Patrick, oh ja, das ist aktu­ell und die Rea­li­tät lei­der sehr ernüch­ternd und wenig wert­schöp­fend. Die Ana­lo­gie zum Stu­di­um mit der Biblio­thek habe ich über­i­gens in einem neue­ren Arti­kel auch schon gezogen.

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