Diese Statusmeetings schaffen mich. Ich war doch so gut vorbereitet. Fast den ganzen Samstag habe ich dafür geopfert. Einmal wollte ich nicht auf dem falschen Fuß erwischt werden, wollte perfekt Auskunft geben können. Eine Frage hat gereicht, um mich zu verunsichern. Schließlich mein erster Job als Teilprojektleiter. Die anderen haben alle so viel Erfahrung, wissen genau wo sie nachbohren müssen. Ich muss ja noch so viel lernen.
In einer neuen Rolle, insbesondere in der ersten Führungsrolle, fühlt sich jeder mehr oder weniger unsicher. Egal wie viel man darauf vorbereitet wurde, gleichen die ersten Schritte immer mehr einem Stolpern. Neue Tätigkeiten und Verhaltensweisen wollen erprobt und eingeübt werden. Ein ganz wesentlicher Bestandteil dieses Lernprozesses ist Feedback. Nur leider gibt es das im hektischen Projektalltag nicht immer in hilfreicher Form.
Ich war so gut in Fahrt. Die ersten 15 Minuten des Statusmeetings sind wirklich gut gelaufen. Und dann stellt mir Stefan, mein Projektleiter, vor versammelter Führungsmannschaft diese eine Frage: „Hast Du den Mitarbeitereinsatzplan schon mit dem Betriebsrat abgestimmt?“ Mit diesem leicht überheblichen Unterton, den er in großer Runde gerne benutzt. Wichtigtuer. Ja, gut, Stefan hat mehr Erfahrung im Projektmanagement als ich, aber nicht so viel mehr, vielleicht ein Jahr. Verdammt, warum ist mir das mit dem Betriebsrat durchgerutscht. Das hätte ich wissen müssen.
Es gibt Mitmenschen und Kollegen, die einen meist sehr übersichtlichen Erfahrungs- und Wissensvorsprung nutzen, um sich zu produzieren und dabei andere bewusst oder unbewusst schlecht aussehen lassen. Daran kann man unmittelbar nicht viel ändern. Aber man kann die eigene Reaktion wählen. Das Feedback in dieser Form ist das eine, es als Angriff auf die eigene Kompetenz zu verstehen das andere. Zugegeben, das ist nicht einfach, wenn man angesichts der neuen, noch ungewohnten Rolle ohnehin schon verunsichert ist.
Nützlich ist in diesem Zusammenhang das Vier-Ohren-Modell nach Friedemann Schulz von Thun. Jede Nachricht hat demnach vier Seiten:
- Sachebene: Der sachliche Inhalt der Nachricht. Im obigen Beispiel: „Der Mitarbeitereinsatzplan muss mit dem Betriebsrat abgestimmt werden.“
- Selbstoffenbarung: Das was der Sprecher bewusst oder unbewusst über sich selbst mit der Nachricht preisgibt. Im obigen Beispiel: „Ich mache mir Sorgen, dass wir Probleme mit dem Betriebsrat bekommen.“ oder „Ich kenne die Prozesse hier sehr gut.“
- Beziehungsebene: Hier kommt zum Ausdruck wie Sprecher und Empfänger zueinander stehen. Im obigen Beispiel: „Du hast ja überhaupt keine Ahnung.“
- Appell: Das was der Sprecher mit seiner Nachricht bewirken will. Im obigen Beispiel: „Bitte stimme den Einsatzplan mit dem Betriebsrat ab.“
Der Empfänger hat die Wahl mit welchem dieser vier Ohren ich die Nachricht vorangig hören möchte. Er muss also nicht, wie oben geschehen, vorangig auf die Beziehungsseite hören und sich anschließend auch noch mit Selbstvorwürfen überziehen. Zumal es der Sache in keinster Weise dient: weder dem konkreten Problem noch seiner eigenen Entwicklung. Der Empfänger kann genauso gut auf die Sachebene hören und vielleicht nachfragen, was genau abgestimmt werden muss oder mit wem. Und danach könnte er auf den Appell hören und eine entsprechende Aufgabe notieren. Ohne Ärger und Selbstvorwürfe.
Langfristig wird man die Beziehungsebene aber nicht ausblenden können, insbesondere dann nicht, wenn sich dieses Kommunikationsmuster wiederholt. In diesem Fall lohnt es sich, die Beziehungsebene bewusst und unter vier Augen anzusprechen. Als Anregung für die Durchführung eines solchen Gesprächs möchte sei hierzu abschließend auf das Konzept der gewaltfreien Kommunikation nach Marshall B. Rosenberg verweisen. Das könnte dann in diesem Beispiel etwa so aussehen: „Wenn Du mich wie eben vor versammelter Mannschaft in diesem Ton fragst, ob ich denn den Plan mit dem Betriebsrat abgestimmt hätte, dann fühle ich mich dadurch verunsichert und herabgesetzt, weil ich in meiner neuen Rolle gerne voll respektiert werden möchte. Könntest Du Deine Fragen und Anregungen bitte nächstes Mal ein wenig anders formulieren?“
Vorangegangene Teile der Serie Projektcoaching
- Projektcoaching (01): Nutzen erkennen
- Projektcoaching (02): Kommunikation
- Projektcoaching (03): Ziele
- Projektcoaching (04): Rollen
- Projektcoaching (05): Risiken
- Projektcoaching (06): Lieferergebnisse
- Projektcoaching (07): Projektstart
- Projektcoaching (08): Sinn stiften
- Projektcoaching (09): Planung
- Projektcoaching (10): Marketing
- Projektcoaching (11): Änderungsmanagement
- Projektcoaching (12): Besprechungen
- Projektcoaching (13): Berichtswesen
- Projektcoaching (14): Meilensteine
- Projektcoaching (15): Führungsrolle
- Projektcoaching (16): Glaubenssätze
- Projektcoaching (17): Effektivität
- Projektcoaching (18): Flöhe hüten
- Projektcoaching (19): Informationsfluss
- Projektcoaching (20): Legehennen
- Projektcoaching (21): Rollenwechsel
- Projektcoaching (22): „Richtige“ Arbeit
- Projektcoaching (23): Arbeit verteilen
Bildnachweis
Das Artikelbild wurde von Wonderlane unter dem Titel „Balancing between two teachers, slackline, tightrope walking, Golden Gardens Park, Seattle, Washington, USA“ auf Flickr unter eine Creative Commons Lizenz (CC BY 2.0) veröffentlicht (Bestimmte Rechte vorbehalten).
2 Kommentare
Danke für diesen wertvollen Beitrag – welcher FK ist sowas wohl noch nicht passiert? Auch der Hinweis auf Rosenbergs GFK ist m.E. richtig und wichtig. Das vorgeschlagene Beispiel enthält allerdings schon im ersten Satz eine Interpretation („…in diesem Ton…“) statt einer möglichst unverfälschten Wahrnehmung und schöpft daher das Potential zur Stressreduktion nicht voll aus.
Zielführender scheint mir hier zunächst die Wahrnehmung: „Ob ich das mit dem BR abgestimmt habe, fragst Du?“ Dann das Ansprechen einer (beim PL) vermuteten Emotion: „Du machst dir Sorgen?“ (Hier kommt dann möglicherweise ein höhnisches Grinsen als Reaktion – soll er nur…) Und daran anknüpfend die Ermittlung des Bedürfnisses seitens des PL: „Um welche Sorgen geht es Dir konkret?“
Was wie eine blauäugige Rückfrage aussieht, drängt den PL dazu, jetzt Farbe zu bekennen. WAS wurde konkret verabsäumt? Darüber kann man ja sachlich diskutieren. Und dann kann man auch sachlich darüber diskutieren, WER konkret etwas verabsäumt hat. Wer weiß, was sich im Gespräch daraus ergibt – wo ist diese Zuständigkeit denn festgelegt? Könnte gut sein, dass der PL rasch bedauert, sich nicht wärmer angezogen zu haben…
Während man mit dem Vier-Ohren-Modell selbst bei a‑posteriori-Erklärungen immer noch auf Vermutungen angewiesen ist (vgl. die beiden Möglichkeiten bei der Selbstoffenbarung), bietet das GFK-Schema viel mehr Chancen, die Gesprächstemperatur aktiv und rasch auf erträgliche Werte zu senken und (vermutete) Angriffe ins Leere laufen zu lassen.
Vielen Dank für den sehr hilfreichen Kommentar, insbesondere hinsichtlich der Anwendung der GfK in dieser Beispielsituation! Das Vier-Ohren-Modell kann meiner Meinung nach in solchen Situation helfen, Kommentare und Feedback mit dem hilfreichsten Ohr zu hören, um sich nicht zusätzlich selbst mit Vorwürfen zu überhäufen.